Salto Mortale

Gastartikel von Robert P. McGregor

Träumen ist doch erlaubt, oder? Ich bin jedenfalls dieser Meinung und handelte mir schon als Kind immer großen Ärger mit meinen Eltern und Lehrern ein. Tagträume waren es, die meine "erziehende" Umgebung des Öfteren auf die Palme brachte. Dabei war es so schön, wenn ich mit offenen Augen die Abenteuer von Winnetou und Old Shatterhand nachvollzog, während der Pauker an der Tafel mit zäher Monotonie versuchte, mir sein Wissen zu vermitteln.

 

Ein Thema meiner schillernden Phantasiewelt hatte es mir besonders angetan, der Zirkus. Die bunte Welt der Artistik. Mit den wirbelnden Keulen der Jongleure, den atemberaubenden Finessen am Trapez oder den geheimnisvollen Zaubereien der Magier. Ein faszinierendes Fluidum. Als Kind stand für mich fest: "Ich werde ein weltberühmter Artist!" Aber wie das Leben so spielt, mit den Jahren siegt die Vernunft. Die kunterbunte Welt der Phantasie wird erdrückt, mit Füßen getreten. Zurück bleibt -meistens- Ratio, der kühle Verstand. Heute weiß ich: "Es führt ein Weg aus dieser trostlosen Sachlichkeit." Ich werde, den Kinderschuhen schon einige Jährchen entwachsen, doch noch Artist. Nicht mit kreisenden Bällen oder in schwindelnder Höhe. Nein. Ich will ein Akrobat des Wortes sein. Ein Wort-Artist! Eine berauschende Vorstellung. Jonglieren mit Wörtern! Salto Mortale auf dem Hochseil der schreibenden Zunft. Der kreativen Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Aus einem banalen Bindfaden kann ich den Zauberfaden machen, der mich zum Schloss der Prinzessin führt, aus dem einfachsten Bachkiesel wird, unter Verwendung der richtigen Geheimformel, ein Edelstein mit betörendem Glanz. Ich kann in ferne Länder reisen, fremde Kontinente besuchen, ja selbst die Sterne, fremde Welten und die Außerirdischen strömen aus meiner Schreibmaschine, wie der Dampf aus dem Teekessel. Liebe und Lust, Freude und Hass, aufregend, spannend, erotisch, einfach alles lässt sich in Worte verpacken und niederschreiben.

 

"Das Schreiben lernen, das begannst

du früh schon zu betreiben;

und doch - obwohl du schreiben kannst -

kannst du bis heute nicht "schreiben!"

 

Dieser Vierteiler aus der Feder des Komikers Heinz Erhardt, lässt meine schriftstellerische Traumreise abrupt enden. Ich muss nachdenken über diese vier inhaltsvollen Zeilen. Das "Schreiben lernen". Richtig, mit sechs, sieben Jahren habe ich damit begonnen. Ich habe auch nie große Schwierigkeiten damit gehabt. Meine Aufsätze waren meist recht gut, meine Rechtschreibung konnte sich einigermaßen sehen lassen. Aber reicht das aus um meine Phantasiewelt in Worten auszudrücken, sie in Sätze zu verpacken? Nein! Ich muss wieder anfangen zu lernen.

 

"Was willst du? Lernen? Du gestattest, dass ich mal kurz lache. Du liegst doch in deiner Freizeit viel lieber auf der faulen Haut, gib es doch zu. Das wird doch nie etwas."

 

Oha, diese Stimme kenne ich. Das ist mein "innerer Schweinehund" oder, etwas vornehmer ausgedrückt, "mein zweites Ich", -schließlich bin ich im Zeichen des Zwillings geboren- das sich immer dann zu Wort meldet, wenn ich mir größere Dinge vornehme. "Halt doch mal die Klappe!" antworte ich, "wenn ich etwas richtig will, dann schaffe ich es auch." "Mach dir doch nichts vor." Wieder diese, nach unbequemer Wahrheit klingende Stimme. "Ich kenn dich besser. Überleg doch mal, du hast Familie, einen Beruf, der viel Zeit kostet und dann hast du noch dein Hobby fotografieren, das dir auch einige Stunden in der Woche raubt. Lass also diese dämliche Schreiberei. Du hast ja doch nichts davon."

 

Das schreckliche an meinem "zweiten Ich" ist, dass die Wahrheit immer schonungslos und ungeschminkt bloßgelegt wird. Zeit habe ich eigentlich keine, das ist richtig. Aber jemand hat auch einmal zu mir gesagt, dass "keine Zeit" nur eine Ausrede sei um unbequeme Dinge zu unterlassen. Also, Thema Zeit ist abgehackt. Nächster Punkt: die Motivation. Ist es das Geld, der eventuelle finanzielle Erfolg der mich zum Schreiben drängt? Ist es eine überzogene Egozentrik, die mich von meinem Namen in großen Lettern auf einer Romantitelseite träumen lässt? Sicher, wenn ich ganz ehrlich zu mir selbst bin, muss ich sagen, dass wohl alles ein wenig zu meiner Motivation beiträgt. Am Ende aber kann ich sagen, es ist wohl doch die Sehnsucht einen Kindertraum zu erfüllen. Ich will meine Kreativität und Phantasie nicht verkümmern lassen. Und wenn`s kein "Salto Mortale" wird, dann eben ein einfacher Purzelbaum. "Schluss, Punkt und Ende!" Zufrieden horche ich in mich hinein. Mein "innerer Schweinehund" ist ruhig. Gesiegt! Ab sofort halte ich mich an den Satz aus Goethes Faust:

 

"Der Worte sind genug gewechselt,

 

lasst mich auch endlich Taten sehn."

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