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Ernährung, Wahrhaftigkeit und Dogmatismus

Heute ist ein besonderer Tag. 

 

Gerade habe ich beschlossen, meinen „Folge der Freude“-Blog wiederzubeleben. Eigentlich fing es damit an, dass ich, als ich grade über die Schwarzwaldwiesen nach Hause gelaufen bin, überlegt habe, einen Text über meine Ernährungsgewohnheiten zu schreiben. Ich werde nämlich immer mal wieder gefragt, ob ich jetzt Veganerin bin, bzw. umgekehrt erhalte ich die Frage von Veganern, ob ich denn noch Fleisch esse…

Aber ganz von vorne und der Reihe nach.

 

Für mich ist Ernährung ein absolutes Herzensthema und ich liebe und lebe das Sprichwort:

 

„Liebe geht durch den Magen.“

 

Lange Jahre habe ich mich quasi gar nicht damit befasst, was ich esse, oder besser „in mich reinstopfe“. Ich konnte auch nicht wirklich kochen und die Devise war: Hauptsache satt. Ich erinnere mich an eine Zeit (damals wohnte ich allein in einer kleinen 1-Zimmer-Wohnung), in der ich mich fast ausschließlich von Spagetti mit Tomatensoße ernährt habe. Ich habe zweimal im Monat einen großen Topf Tomatensoße gekocht, in kleine Tupperdosen gefüllt und eingefroren. Jeden Abend, wenn ich nach Hause kam, habe ich einen Teller voll Nudeln gekocht und eine Büchse Soße drüber gekippt. Im Nachhinein betrachtet war das vielleicht etwas einseitig, aber immer noch besser, als mir ein Fertiggericht aus dem Supermarkt zu holen. Dafür hatte ich auch gar kein Geld.

 

Dann folgte eine Phase, in der ich gemeinsam mit meinem heutigen Ehemann extrem viel geschlemmt habe. Am Anfang unserer Beziehung haben wir sehr oft gemeinsam gekocht und dieses „Liebe-geht-durch-den-Magen-Gefühl“ in jeder Faser ausgekostet. Wir haben stundenlang in der Küche gestanden und es uns richtig gutgehen lassen – übrigens auch, was den Alkoholkonsum angeht (anderes Thema)…

 

Als wir dann zusammengezogen sind und einen großen Balkon hatten, haben wir fast jedes Wochenende ausgiebig gegrillt. Und zwar Fleisch. Jede Menge Fleisch. Wenn ich heute dran denke, kann ich es selbst kaum glauben, was wir alles in uns hineingeschaufelt haben. Unsere Wochenendration Fleisch für zwei Personen hat uns so ca. 80 Euro gekostet – immerhin, wir haben damals schon auf Qualität geachtet und beim Metzger gekauft, statt im Supermarkt. Aber, mal ganz abgesehen von den ethischen Aspekten, können solche Mengen an Fleisch halt auf Dauer echt nicht gesund sein, auch wenn es noch so gute Qualität ist.

 

Doch dann kam für uns eine Zeit, in der wir einen großen Umbruch erlebt haben in allem, was uns so bewegte. Ich möchte jetzt gar nicht so tief ins Detail gehen. Es ging auf jeden Fall um Burnout, und andere gesundheitliche Probleme und mein Mann und ich machten uns gemeinsam auf einen neuen, achtsameren, spirituelleren und gesünderen Weg.

 

Der Startschuss war eine Kräuterwanderung im Jahr 2012. Die Veranstalterin dieses Nachmittags war selbst Veganerin und sie verstand es tatsächlich, uns grüne Smoothies und Sojamilch schmackhaft zu machen. Wir waren ganz begeistert und haben uns gleich einen Mixer gekauft und selbst mit Smoothie-Rezepten experimentiert. Kurz darauf entdeckten wir durch unseren Heilpraktiker (der übrigens auch sehr viel dazu beigetragen hat, dass wir uns inzwischen viel bewusster ernähren) die Quark-Leinöl-Creme nach Dr. Johanna Budwig.

 

Ich würde das als einen Meilenstein in unserem Leben bezeichnen.

 

Zu diesem Zeitpunkt stellten wir wirklich komplett alles in unserem Leben um. Statt Wurstbrot und Tütensuppe nahmen wir nur noch Smoothies und Müsli mit zur Arbeit. Abends kochten wir mehrmals die Woche vegetarisch und ganz nebenbei fingen wir an zu meditieren. Nach einiger Zeit, als wir merkten, wie es uns gesundheitlich deutlich (!) besser ging, habe ich dann nach und nach alle Fix-Produkte aus unserer Vorratskammer entfernt. Wir haben Kräuter gesammelt und getrocknet und sind gemeinsam jede Woche auf den Wochenmarkt gegangen, um frisches Gemüse und Obst zu kaufen. Insbesondere mein Mann hat sich sehr intensiv mit dem Thema Ernährung befasst und viel recherchiert. Er kennt sich inzwischen deutlich besser aus, als ich und ist ein gutes Beispiel dafür, dass es nicht immer so laufen muss, dass Frauen die Männer vom Fleischkonsum abhalten und zu einer gesünderen Ernährung anhalten. (#genderkacke)

 

Diese Zeit war SO schön - eine der schönsten Zeiten in meinem Leben.

 

Interessanterweise bin ich nach dieser Umstellung dann relativ bald schwanger geworden, was vorher nicht funktioniert hatte (nicht, dass wir das zwanghaft forciert hätten, aber auch das ist ein anderes Thema). Ich glaube, dass es ganz viel mit unserer neuen Lebensweise zu tun hatte, dass unser Sohn in dieser Zeit den Weg zu uns gefunden hat.

 

Und auch, dass ich mich nach der Geburt, bei der ich sehr viel Blut verloren habe, so schnell erholen konnte und keine Transfusion nötig war, führe ich auf unsere gute Ernährung zurück.

 

Neben dem gesundheitlichen Aspekt befassten wir uns dann mit der Zeit auch mehr und mehr damit, wie Nahrungsmittel eigentlich produziert werden - wie dabei unser Planet ausgebeutet und Tiere auf unsägliche Art misshandelt und ausgenutzt werden. Dazu haben wir viele Dokumentationen gesehen, die uns mehr als einmal die Augen geöffnet und uns in unserem Umdenken bestärkt haben.

 

Ich kann das nur jedem empfehlen, der denkt, er habe nicht die (finanziellen) Mittel, um sich gut und gesund zu ernähren, sich mal näher damit zu befassen.

 

Für uns steht ganz klar fest, dass wir lieber deutlich (!) weniger Fleisch konsumieren (von dem wir ganz genau wissen, wo es herkommt), als weiterhin eine Massentierhaltung zu unterstützen, nur weil es halt billig und bequem ist. Wir verzichten lieber auf ein Eigenheim und den ein oder anderen Urlaub, als aus finanziellen Gründen minderwertiges Essen zu kaufen. Da haben wir inzwischen ganz klare Prioritäten.

 

Alles andere könnte ich mit meinem Gewissen nicht mehr vereinbaren.

 

Übrigens habe ich in meinem Bekanntenkreis eine Person, die alleinerziehend ist, von Hartz 4 lebt und sich dennoch komplett bio-vegan ernährt. Das ist möglich. Und jeder, der sagt, er könne sich kein Bio leisten: (Sorry, da muss ich jetzt echt mal deutlich werden) soll einfach mal die Klappe halten und aufhören, sich selbst zu belügen.

 

Gute/Gesunde Ernährung ist zumindest in Deutschland keine Frage des Gelbeutels, sondern eine Frage von Prioritäten. Also bitte: Wer meint ROTZ essen zu müssen, soll auch gefälligst dazu stehen, dass ihm sein Auto und sein Flachbildfernseher wichtiger sind, als die Umwelt und die eigene Gesundheit.

 

Wir WISSEN, dass für Discounter-Würstchen Tiere unsäglich leiden – von der Geburt bis zum Tod. Wir WISSEN, dass für Palmöl, was in unzähligen Lebensmitteln (z.B. Nutella) verarbeitet wird, riesige Flächen an Regenwald abgeholzt werden. Wir WISSEN, dass Monokulturen, industrielle Landwirtschaft und intensive Düngung der Böden die Hauptgründe sind für massives Insektensterben. Wir WISSEN, dass der Konsum tierischer Produkte, in hohem Maße für den Umweltverschmutzung verantwortlich ist. Wir WISSEN, dass konventionell produzierte Lebensmittel zum Teil erhebliche Pestizidbelastungen aufweisen und dass darin Zusatzstoffe (Geschmacks-, Konservierungs-, Farbstoffe etc.) verwendet werden, die definitiv gesundheitsschädlich sind. Wir WISSEN, dass Antibiotika­resistente Keime eine Folge von Massentierhaltung sind.

 

Wir wissen das alles und ich persönlich kann und will das einfach nicht mehr ignorieren.

 

Die Geburt unseres Sohnes hat sicherlich viel dazu beigetragen, dass wir heute so leben, wie wir leben. Wir wollen für unser Kind ein gutes Vorbild sein und unser Möglichstes dafür tun, dass auch er noch in einer Welt leben kann, die lebenswert ist. Und ich möchte ihm in 30 Jahren in die Augen sehen können und wissen, dass ich mein möglichstes getan habe, und dass ich nicht Fakten ignoriert habe, nur weil es bequemer war.

 

So. Und zum Schluss möchte ich jetzt nochmal zur Ausgangsfrage zurückkommen:

 

Bin ich Veganerin? Nein. Esse ich Fleisch? Ja. Trinke ich Milch? Ja.

 

Warum?

 

Weil mein Kaffee sonst nicht schmeckt und weil ich nichts von Dogmatismus halte.

 

Es ist immer leicht, sich in eine Ecke zu stellen, sich einer Gruppe anzuschließen und dann auf andere zu zeigen. Irgendwo hab ich mal gelesen, dass gemeinsame Feinde Menschen besonders verbinden. Wenn ich also Fleischesser bin, kann ich mit anderen Fleischessern über die dummen Tofufresser/Veganer ablästern. Wenn ich Veganer bin, kann ich mit meinen Veganerfreunden kopfschüttelnd über herzlose Fleischesser herziehen und mich dabei so richtig gut fühlen.

 

Ja, das Leben kann so einfach sein. In vielen Bereichen. Man sucht sich Gleichgesinnte und schießt dann gegen andere. Aber wisst ihr was? Darauf habe ich keine Lust.

 

Ich war noch nie ein Mensch, der in irgendwelche Schemen hineingepasst hat. Ich gehöre zu keiner „Gruppe“ und man kann mich nicht einfach in eine Schublade packen. Und auch wenn ich nicht mit erhobenem Zeigefinger rumlaufe oder andere zu irgendwas bekehren möchte, so ist es mir doch wichtig, meinem Sohn ein gutes Vorbild zu sein und immer wieder auch andere zum Nachdenken und Umdenken anzuregen und dabei völlig undogmatisch zu bleiben.

 

Ich bin unbequem. Das war ich schon immer.

 

Ich gehöre nirgendwo dazu.

 

Langsam finde ich mich damit ab.

 

Am Ende des Tages geht es nicht darum, jemand anderem zu gefallen. Es geht darum, ob ich in den Spiegel sehen kann.

 

Es geht um Wahrhaftigkeit.

 

Und das ist meine Empfehlung an jeden, der meint sich ein Urteil über andere erlauben zu dürfen:

 

Frag dich, ob du selbst wahrhaftig lebst. Frag dich, ob deine Beweggründe liebevoll sind. Frag dich, ob du in den Spiegel sehen und hinter deinen eigenen Handlungen stehen kannst (auch wenn du vielleicht weißt, dass sie falsch sind).

 

Kehre vor deiner eigenen Haustüre.

 

Und dann sei ein gutes Vorbild und sei selbst die Veränderung, die du dir von der Welt wünschst.

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Kommentare: 5
  • #1

    Isolde (Dienstag, 18 Juni 2019 17:51)

    HAMMER! HAMMER! HAMMER!

    Ich unterschreibe jeden einzelnen Satz / jedes einzelne Wort / jeden einzelnen Buchstaben: Klasse geschrieben und absolut auf den Punkt gebracht...

    Liebe Sonja - dieser Text ist absolut genial!

  • #2

    Noori (Dienstag, 18 Juni 2019 18:11)

    Genau richtig so, liebste Sonja!

    Deine klaren Worte sprechen mir aus der Seele.

    Ich selbst ernähre mich aus gesundheitlichen Gründen fast nur vegan. Wenn ich aber mal Lust auf ein gutes (!) Steak oder Nachos mit einer Tonne Käse obendrauf habe: Dann esse ich das.

    Weil ich das bewusst und für mich tue. Denn letztendlich muss ich diese und alle anderen Entscheidungen vor mir selbst rechtfertigen können. Wie Du schon sagst: Sich selbst in die Augen schauen und wahrhaftig sein.

    Bei meinem Umzug gerade schmeiße ich so vieles weg, das sich über Jahrzehnte angesammelt hat und habe mir geschworen, dass ich sehr viel bewusster mit meinem Leben umgehe.

    Mehr gute Zeit und Erlebnisse, weniger Kram.

    Danke für Dein Teilen �
    Noori

  • #3

    Anja Hermann (Dienstag, 18 Juni 2019 22:15)

    Liebe Sonjadi sprichst mir mit jedem Wort aus der Seele. Ich dachte auch mal, ich bin nur dann spirituell genug, wenn ich mich Vegan ernähre.

    Mittlerweile, esse ich wieder Fleisch aber das mit Achtsamkeit und in Liebe.
    Übrigens, mir schmeckt der Kaffee auch nur mit Milch �
    Danke für deine Ehrlichkeit

  • #4

    Niki (Dienstag, 18 Juni 2019 22:42)

    Sehr schön geschrieben :-)

  • #5

    Sonja Kleiser (Mittwoch, 19 Juni 2019 08:23)

    Wow! Ihr seid ja toll! Danke für die lieben Kommentare ♡